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Ratgeber Maßregelvollzug Sexualstraftat

Sexualstrafrecht und Maßregelvollzug (§ 63 StGB / § 64 StGB)

Wisch Anwalt

Unter gewissen Voraussetzungen können Gerichte in Deutschland eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik beziehungsweise in einer Entziehungsanstalt anordnen. Geregelt ist Verfahrensweise in den Paragrafen § 63 StGB (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) beziehungsweise in § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt).

In diesem juristischen und praktischen Ratgeber erfahren Sie den Unterschied zwischen Strafvollzug und dem sogenannten Maßregelvollzug, wann es zu einer solchen Unterbringung kommt und wie diese Art der “Maßregel zu Besserung und Sicherung” mit dem Sexualstrafrecht zusammenhängt.

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RA Markus Bauer Anwalt für Sexualstrafrecht

Was ist der Unterschied zwischen Strafvollzug und Maßregelvollzug?

  • Eine Haftstrafe, ob wegen eines Sexualdelikts oder wegen einer anderen Straftat, wird in einer Strafvollzugsanstalt abgeleistet – größtenteils im geschlossenen Vollzug, teilweise im offenen Vollzug. Ausnahmen sind außer bei der Aussetzung zur Bewährung nur bei Haftunfähigkeit oder Haftverschonung möglich. Voraussetzung für eine Haftstrafe ist eine rechtskräftige Verurteilung: der Schuldspruch durch einen Strafrichter, z. B. wegen einer Sexualstraftat.Der Strafrichter kann allerdings auch einen Maßregelvollzug anordnen. Das bedeutet die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (gemäß § 63 StGB) oder die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (gemäß § 64 StGB), eine weitere Variante ist die Sicherheitsverwahrung (§§ 66 – 66c StGB).
Sexualstrafrecht und Maßregelvollzug (§ 63 StGB / § 64 StGB)
  • Der Hauptunterschied des Maßregelvollzugs zum Strafvollzug besteht darin, dass die „Maßregel der Besserung und Sicherung“ der Prävention dient, nicht zur Strafe. Sie knüpft deshalb auch nicht an einen Schuldspruch an. Der Maßregelvollzug kann vom Gericht auch bei schuldunfähigen Tätern verhängt werden, wenn die Tat und der Angeklagte die Voraussetzungen dafür aufweisen:
    • Für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus muss der Täter – neben anderen Voraussetzungen –bei der Straftat seelisch bzw. geistig beeinträchtigt und deshalb schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gewesen sein. Typisches Beispiel wäre ein Täter mit einer psychotischen Störung, der bei wahnhaften Episoden regelmäßig sexuelle Übergriffe begeht.
    • Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist bei Tätern vorgesehen, die einen Hang zum Missbrauch von Drogen oder Alkohol aufweisen, zum Beispiel aufgrund einer Sucht. Ein klassischer Fall für diese Form des Maßregelvollzugs wäre ein Alkoholiker, der bei Alkoholkonsum zum Verlust der Steuerungsfähigkeit neigt und deshalb wiederholt in betrunkenem Zustand Frauen sexuell genötigt hat.

Wann kommt es zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB?

Das Strafgesetzbuch nennt mehrere Voraussetzungen dafür, dass nach einer rechtswidrigen Tat die Unterbringung des Täters in einer psychiatrischen Klinik des Maßregelvollzugs angeordnet wird:

  • Zunächst einmal muss der Täter dazu bei der Begehung der Tat schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) gewesen sein.
  • Außerdem muss eine negative Kriminalprognose vorliegen: von dem Täter müssen weitere erhebliche, rechtswidrige Taten zu erwarten sein. Der BGH fordert, dass dies mindestens Taten im „Bereich der mittleren Kriminalität“ sind (BGH, 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18).
  • Der Zustand des Täters muss allgemeingefährlich sein: Die Gefährlichkeitsprognose muss so ausfallen, dass schwere seelische oder körperliche Schäden bei den weiteren Opfern oder schwerer wirtschaftlicher Schaden erwartet wird.

 

Voraussetzung für die Anordnung ist eine entsprechende „Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat“. Dabei ziehen Strafgerichte fast immer Sachverständige als Gutachter hinzu, z. B. Fachärzte für Psychiatrie oder Neurologie mit einer Weiterbildung in forensischer Psychiatrie. Grundelemente solcher Gutachten von Sachverständigen ist die Klärung der Schuldfrage, die Diagnose von seelischen und geistigen Beeinträchtigungen oder Krankheiten, die Überprüfung auf Drogen- und Alkoholmissbrauch und das Stellen einer Prognose zur weiteren Entwicklung und zur Wahrscheinlichkeit weiterer Taten. Das Gericht ist nicht an die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens gebunden. Außerdem kann der Strafverteidiger ein eigenes Gutachten in Auftrag geben.

Wann liegt Schuldunfähigkeit vor?

Die Voraussetzungen regelt das Strafgesetzbuch in § 20 Strafgesetzbuch.

  • Erstens muss der Täter bei der Tat an einer „krankhaften seelischen Störung“, einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“, einer „Intelligenzminderung“ oder einer „schweren anderen seelischen Störung“ gelitten haben.
  • Zweitens muss dies zur Folge gehabt haben, dass er das Unrecht der Tat nicht einsehen oder trotz der Einsicht sein Handeln nicht ändern konnte.

Beim Vorliegen von Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB ist der Richter gehalten, eine Unterbringung im Maßregelvollzug zu prüfen, entweder in einer psychiatrischen Klinik oder in einer Einrichtung zur Drogen- bzw. Alkoholtherapie.

Wann ist die Schuldfähigkeit vermindert?

Die Gründe für eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB sind die gleichen wie für eine Schuldunfähigkeit. Allerdings ist die Auswirkung der seelischen oder Bewusstseinsstörung oder der Intelligenzminderung in diesem Fall nicht so umfassend, dass die Einsicht in das Unrecht der Tat oder die Fähigkeit, entsprechend zu handeln, komplett aufgehoben wären.

Deshalb ist bei verminderter Schuldfähigkeit eine Verurteilung wegen einer Straftat zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe möglich. Der Richter kann jedoch mildernde Umstände zugrunde legen. Dadurch verschiebt sich der Strafrahmen zu Gunsten des Verurteilten: er kann höchstens zu drei Vierteln der eigentlich geltenden Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt werden, bei lebenslänglich zu Freiheitsstrafen nicht unter drei Jahren. Auch die Mindeststrafe liegt dadurch niedriger, so sinkt sie beispielsweise von einem Jahr Freiheitsstrafe auf drei Monate.

Allerdings kann die Feststellung verminderter Schuldfähigkeit dazu führen, dass gleichzeitig mit der Verurteilung eine Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet wird.

Wann wird die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet?

Damit in einer Entscheidung von Strafgerichten die Unterbringung des Täters in einer Therapieeinrichtung angeordnet wird, müssen mehrere Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Täter weist einen „Hang“ zum Missbrauch von Alkohol oder Drogen auf. Hang ist nicht gleichbedeutend mit psychischer oder körperlicher Abhängigkeit. Auch ein verfestigter Gewohnheitskonsum kann ausreichen. Im Fall einer Suchterkrankung besteht grundsätzlich immer ein Hang.
  • Die Tat wurde entweder unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss begangen, oder sie hängt symptomatisch mit dem Hang zusammen. Das ist zum Beispiel bei Beschaffungskriminalität der Fall.
  • Vom Täter sind infolge seines Hanges zu Drogen und/oder Alkohol weitere erhebliche Taten zu erwarten.
  • Die Therapie verspricht hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg, d. h. Heilung oder Vermeiden von Rückfällen sowie von weiteren Taten.

Anders als die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die Unterbringung zur Entzugstherapie keine Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit voraus.

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Unterbringung in der Psychiatrie im Maßregelvollzug nach einem Sexualdelikt: Beispiele aus der Rechtsprechung

  • Die Unterbringung ist möglich, wenn die Pädophilie eines Täters als sexuelle Devianz „einen solchen Ausprägungsgrad“ erreicht, dass sie als „schwere andere seelische Störung“ einzuordnen ist. Abweichendes Sexualverhalten stellt jedoch nicht per se eine schwere Persönlichkeitsstörung dar und rechtfertigt für sich genommen nicht den Maßregelvollzug (BGH, 1 StR 526/15 – 15. März 2016).
  • Eine Persönlichkeitsstörung mit schweren dissozialen Auffälligkeiten in Kombination mit einer sexuellen Devianz in Form nicht kontrollierbarer sadistischer Neigung rechtfertigt die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, wenn der Angeklagte zwar nur dafür verurteilt wird, dass er eine Reihe von Frauen und Mädchen obszön angesprochen und beleidigt hat, er jedoch seine Fantasien bezüglich Körperverletzungen, Vergewaltigungen sowie von sexuellem Missbrauch von Kindern zunehmend weniger kontrollieren kann und deshalb erhebliche Sexualdelikte zu erwarten sind (BGH, 5.08.2013 – 4 StR 179/13).
  • Exhibitionistische Handlungen reichen selbst bei hohem Rückfallrisiko als Rechtfertigung für eine Unterbringung nicht aus, wenn die zu erwartenden Taten nicht den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 07.02.2006 – 1 StR 384/05)

Unterbringung zur Drogen- oder Alkoholtherapie im Maßregelvollzug nach einem Sexualdelikt: Beispiele aus Gerichtsentscheidungen

  • Wenn ein alkoholabhängiger Mann seine Ehefrau über Jahre hinweg zum Oralverkehr zwang sowie weitere Sexualdelikte beging und dabei stets betrunken war, muss das Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt genau prüfen. Es kann nicht nur deshalb von der Unterbringung absehen, weil der Angeklagte sich der Begutachtung durch den Sachverständigen verweigert hat (BGH, 1 StR 506/16 – 21. 02. 2017).
  • Im Fall eines wegen sexueller Nötigung bereits vorbestraften Täters, der seine Freundin jeweils unter Alkoholeinfluss mehrfach anal, oral und vaginal vergewaltigt, geschlagen und mit Gewalt bedroht hatte, entschied der BGH, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Unterbringung zur Sicherheitsverwahrung gemeinsam geprüft werden müssen. Wenn das Gericht von einer hohen Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolgs ausgeht, steht das der Anordnung der Sicherheitsverwahrung entgegen (BGH, 1 StR 573/12 – 14. 05. 2013).

Was unterscheidet den Maßregelvollzug von einer Freiheitsstrafe?

Eine wichtige Differenz ist wie erwähnt die Schuldfähigkeit. Sie ist Voraussetzung für eine Freiheitsstrafe, nicht aber für eine Maßregel. Im Fall der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik muss die Schuldfähigkeit zumindest eingeschränkt gewesen sein.

Ein weiterer Unterschied betrifft die Dauer der Maßnahme. Die Dauer einer Freiheitsstrafe muss im Urteil genau festgelegt werden. Nach Verbüßen eines bestimmten Teils, z. B. nach zwei Dritteln, kann die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Dagegen ist eine nachträgliche Verlängerung des Freiheitsentzugs ohne erneute Verurteilung ausgeschlossen.

Das ist bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anders. Sie dauert grundsätzlich so lange, bis die Voraussetzungen dafür, etwa eine psychische Erkrankung, nicht mehr vorliegt, oder bis die Länge der Maßnahme unverhältnismäßig ist. Eine feste Begrenzung gibt es nicht. Als Frist, nach der die „Unverhältnismäßigkeit“ geprüft werden soll, nennt das Strafgesetzbuch sechs Jahre (§ 67d Abs. 6 StGB). Auch danach ist die Entlassung keineswegs sicher, sie hängt von der Entwicklung des Insassen ab.

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist auf zwei Jahre begrenzt, oder auf die Dauer einer gleichzeitig mit der Maßregel verhängten, aber danach zu vollziehenden Freiheitsstrafe (§ 67d StGB). In diesem Fall wird die Zeit in der Entzugstherapie auf die Freiheitsstrafe angerechnet, bis zu maximal zwei Drittel (§ 67 Abs. 4 StGB). Nach einer erfolgreichen Therapie kann die Reststrafe dann nachträglich zur Bewährung ausgesetzt werden, sobald die Hälfte der Freiheitsstrafe abgeleistet wurde (§ 57 Abs. 2 StGB). Im „normalen“ Strafvollzug erfolgt eine nachträgliche Bewährung in der Regel erst nach zwei Dritteln der Zeit.

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    Maßregelvollzug Sexualstraftat Zuletzt aktualisiert: 26.04.2023 von advo_sexualstrafrecht_admin
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